Mein zweiter Artikel auf meinem eigenen Blog und schon wieder ein Beitrag zu einer Blogparade – ich verspreche hiermit, dass ich künftig auch ohne Blogparade bloggen werde, doch heute kann ich der Versuchung nicht widerstehen, meine spontanen Gedanken zu Organisationsrebellen in Worte zu fassen.

Denn der Haufe-Blog ruft zur Blogparade #Organisationsrebellen auf und behauptet: „Jede Organisation braucht mutige Andersmacher.“ Man möchte „Rebellen dabei unterstützen, Unternehmen von innen heraus zu verändern“.

Das liest sich für mich auf den ersten Blick alles ziemlich toll: „Unterstützung“ klingt immer gut. „Mutige Andersmacher“ und „Rebellen“ klingt verdammt cool. Selbst „verändern“ klingt in diesem Zusammenhang irgendwie durchweg positiv.

Beim zweiten Hinsehen fing ich allerdings das Grübeln an:

Ist „verändern“ wirklich immer positiv?

Ich war vor ein paar Tagen Gast beim Digital Workplace Meetup Berlin, als es um die Fragestellung „Angst in Organisationen – Schattenseiten der digitalen Transformationseuphorie“ ging. Ich durfte zuhören und lernen, dass nach Meinung der Diskutierenden viel Angst vor Veränderung in den Organisationen herrscht. Das deckt sich zwar nicht mit meiner eigenen Wahrnehmung aber ich werde versuchen, künftig etwas stärker darauf zu achten. Ein Rebell, der solche Ängste ignoriert, kann mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Braucht wirklich jede Organisation mutige Andersmacher?

Zynisch könnte ich antworten: Nein, wenn eine Organisation stillstehen und schließlich untergehen möchte, braucht sie weder Andersmacher noch Veränderung. Doch vielleicht ist das gar nicht ausschließlich zynisch. Ich denke, es kann durchaus Situationen geben, in denen Stabilität und Weitermachen die bessere Lösung darstellt, als immer wieder alles in Frage zu stellen und zu verändern. Doch solche Situationen der Gewissheit, Planbarkeit und Stabilität werden immer seltener, wenn Komplexität und Dynamik immer weiter zunehmen. Dennoch braucht meines Erachtens jede Organisation auch immer wieder Zeiten der Routine und des Durchatmens, um sich zu sammeln und neue Ideen reifen zu lassen.

Andersmachen um des Andersmachen willen ist auch nichts anderes als Verschwendung! Es braucht meines Erachtens eine positive Vision, wofür ich etwas anders machen möchte.

Für welche Haltung steht der Begriff „Rebell“?

Ich verbinde mit dem Begriff Rebell intuitiv vor allem eine Dagegen-Haltung. Wikipedia erklärt Rebell wie folgt: „Die Ausdrücke Rebell (von lat. rebellis, ‚aufständisch‘) und Aufständischer bezeichnen jemanden, der an einem individuellen oder kollektiven Aufstand (Rebellion) beteiligt ist oder diesen in Gang zu setzen versucht“ und weiter „Als Substantiv ist Rebell im Deutschen seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar und bezeichnet seither allgemein jemanden, der sich der Obrigkeit widersetzt“. Mir persönlich fehlt bei dieser Begriffsdeutung wiederum die Vision, das Wofür! Gegen das Bestehende zu sein, reicht mir persönlich jedenfalls nicht.

Wenn nun aber „jede Organisation mutige Andersmacher bzw. Rebellen braucht“, frage ich mich: Braucht es in demokratischen Unternehmen Rebellen, die für einen starken Despoten kämpfen? Braucht es in hochgradig selbstorganisierten Organisationen Rebellen, die für mehr zentrale Vorgaben und Kontrollen eintreten? Wahrscheinlich ist das so nicht gemeint, aber das sind durchaus spannende Fragestellungen, wie ich finde – jede Bewegung erzeugt eine Gegenbewegung! Die Rebellen von heute schaffen die Zustände, gegen die die Rebellen von morgen antreten werden. (Man denke nur an die rebellischen 68er …)

Vorsicht: Hype!

Mir ist in den letzten Tagen zudem aufgefallen, dass der Begriff Rebell längst in der Popkultur angekommen ist bzw. von Modemarken verwendet wird. Neben rebellischem Rosé Wein habe ich sogar passende Lippenstifte gefunden: Neben SugarCola und vielen anderen Varianten kann ich meine aufmüpfigen Lippen nun auch mit der Variante Rebel aufhübschen.

rebell
rebell

In nehme an, mit dem Begriff möchte man Coolness suggerieren: Ich bin nicht angepasst, ich bin anders! – was als Statement auf Massenartikeln meines Erachtens ziemlich absurd ist.

Von Narren und Hackern

Ich habe zwar auch keinen perfekten Begriff, aber zumindest zwei weitere zur Auswahl:

Wir freiKopfler finden den Begriff Hofnarr ganz passend. Ein Hofnarr genießt Narrenfreiheit, darf Dinge offen aussprechen bzw. überzeichnen und Finger in Wunden legen. Allerdings wird ein Hofnarr vom König beschäftigt und ermächtigt, ist also in gewissem Maße abhängig von den bestehenden Machtverhältnissen. Ein Rebell dagegen agiert in seiner Rolle völlig unabhängig. Vielleicht ist es als Unternehmer also klug, einen Hofnarren zu engagieren, um den Veränderungsdruck gar nicht so hoch werden zu lassen, dass eine Rebellion aufkommt? Vielleicht sind Hofnarren ein Weg, um kontinuierlich kleine Veränderungen anzuregen. Vielleicht reduziert das auch die Angst vor Veränderungen in der Organisation.

Was mir beim Begriff des Hofnarren allerdings fehlt, ist der Aspekt, der über das Beobachten, Zuhören und Infragestellen, über das Finger in die Wunden legen und Geschichten erzählen hinausgeht: Das aktive Intervenieren, Impulse geben und Experimente starten. Diese Aspekte verbinde ich vor allem mit dem Begriff Culture Hacking.

Was bleibt

Namen sind Schall und Rauch. Begriffe wie Rebell sind sexy, solange sie im eigenen Kontext noch ungebräuchlich sind – so erregen sie die benötigte Aufmerksamkeit. Wir sollten uns nur im Klaren sein: Der Hype wird irgendwann zum Mainstream, der Begriff wird inflationär verwendet und inhaltlich immer weiter ausgehöhlt. Und schneller als man denkt sind Rebellen das, was heutzutage Manager sind.

Also, liebe Feel Good Manager – nennt Euch lieber noch heute um in Feel Good Rebel, solange es noch cool ist, morgen könnte es schon zu spät sein!

Apropos Inhalte:  Aus dem Begriff Organisationsrebellen kann ich weder das Wogegen noch das Wofür ablesen. Wenn ich meine Rebellion aber ernst nehme und Mitstreiter mobilisieren möchte, sollte ich beides beantworten können, sollte ich eine Vision entwickeln und diese auch kommunizieren können, die über den Begriff Rebell hinausgeht. (Die mir persönlich bekannten Organisationsrebellen, wie z. B. Marcus Raitner, tun das natürlich auch.)

Jeder Organisationsrebell sollte sich meines Erachtens also Gedanken machen, ob er wirklich ein Rebell oder ein Hofnarr oder vielleicht eher ein Culture Hacker oder eine Mischung oder etwas ganz anderes ist. Dabei können folgende Fragen helfen: Wofür mache ich das? Was ist meine Vision/Mission? Wer hat mich ermächtigt? Für wen mache ich das? Wer sind meine Verbündeten? Was ist mein leistbarer Verlust – wie weit werde ich gehen? Wie merke ich, ob ich Wirkung erziele? Wie merke ich, ob ich es übertreibe (bevor es zu spät ist)?

Ich fände es übrigens spannend, einmal ein Business Model Canvas für und gemeinsam mit einem Organisationsrebellen ausfüllen – wer hat Lust?

Und ich selbst?

Ich selbst habe mich übrigens nie als Rebell gesehen, obwohl ich ganz bestimmt schon oft ein Andersmacher, vielleicht sogar eine Art Hofnarr oder ein „freifliegendes Elektron“ war. Das hat mir Spaß gemacht, solange ich nicht nur Freiheiten genießen durfte sondern auch Resonanz erfuhr –  wenn also meine Impulse von den Kolleginnen und Kollegen aufgenommen wurden. Auch eine kritische Reaktion fand ich (zugegebenermaßen meist erst auf den zweiten Blick) immer wertvoll. Als ich den Eindruck gewann, dass meine Impulse nicht mehr ankamen, dass man sich daran gewöhnt hatte, ohne sie noch länger ernst zu nehmen, dass man mich also oft lieber ignorierte – da wusste ich, dass ich mich selbst verändern musste.

Heute fühle ich mich sehr wohl als Ermöglicher – mit viel Wofür und wenig Dagegen!

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