Agile Transformationen sind häufig nur Theater. Leider. Und das halte ich sogar für ausgesprochen gefährlich! Mein Beitrag zur Blogparade des Projektmagazins.

Rückblick

Ja, ich habe mal wieder monatelang nicht gebloggt. Noch nicht einmal anlässlich meines ersten Buches, das ich gemeinsam mit Olaf Hinz geschrieben habe und letztes Jahr erschien: #PM2025 – Projekte. Gut. Machen. Mit 7 Thesen (und 49 ganz konkreten Ansätzen) zur Zukunft der Projektarbeit.

Warum also gerade jetzt? Ganz einfach: Das Projektmagazin hat zur Blogparade aufgerufen und Olaf hat mich gefragt, ob wir da nicht etwas beitragen wollen.

Das Thema lautet „Wir arbeiten jetzt agil / digital / selbstorganisiert!“ – Mehr Erfolg durch neue Freiheiten im Projekt oder viel Wirbel um nichts? und Olaf hat in seinem Beitrag Das #agileTheater eine Lanze für moderne Projektarbeit gebrochen. Dem kann ich nichts hinzufügen – lest selbst!

Ich möchte an dieser Stelle auch nicht noch einmal meine generelle Haltung zu Agilität wiedergeben.

Und ich möchte hier auch nicht darlegen, warum ich davon überzeugt bin, dass Agilität jetzt und in Zukunft tatsächlich die Chance auf Erfolg erhöht. Wer sich dafür interessiert, wird in unserem Buch #PM2025 fündig, ohne dass der Begriff Agilität darin allzu häufig fällt.

Ich werde heute nur kurz auf einen speziellen Aspekt eingehen, der sich mir beim Lesen des Themas ganz spontan aufdrängte: In meiner Wahrnehmung sind viele agile bzw. digitale Transformationen tatsächlich leider nur “viel Wirbel um nichts”! Und das ist aus meiner Sicht sogar gefährlich!

Agilität „funktioniert bei uns nicht“

Manchmal treffe ich auf Veranstaltungen auf Menschen, die spontan mit den Augen rollen, wenn ich ihnen sage, dass ich Organisationen bei der Transformation zu mehr Agilität und Innovationskraft unterstütze und begleite. Manchmal frage ich dann nach. Oft berichten sie dann, dass sie Scrum eingeführt hätten, dass das bei ihnen aber nicht funktioniere. Wenn ich dann weiter nachfrage und erfahre, dass man entweder direkt die Scrum Master-Rolle eingespart hat oder auf Sprint Retrospektiven verzichtet, dann muss ich mich wiederum zurückhalten, meinerseits nicht spontan mit den Augen zu rollen. Natürlich sind das nur Symptome, die Ursachen für solche Einsparungen liegen tiefer. Vielleicht schreibe ich auch dazu einmal etwas, aber nicht heute.

In manchen Gesprächen finde ich heraus, dass das agile Arbeiten anscheinend nicht funktioniert, obwohl man doch sich strikt an die Regeln des Scrum Guides hält, man also zumindest handwerklich “alles richtig” macht und oft sogar erfahrene, zumindest aber hoch engagierte Agile Köpfe mit an Bord hat. In diesen Fällen gewinne ich beim Nachhaken und Tieferbohren oft den Eindruck, dass Agilität im Rest der Organisation einfach nicht ernst genommen wird und deshalb gar nicht funktionieren kann.

Transformationstheater

Wie kommt es dazu?

In meiner Vorstellung spielt es sich so oder so ähnlich ab: Eine oder mehrere hochrangige Führungskräfte hatten entschieden, dass man im Rahmen der Digitalisierung wohl auch Agilität bräuchte. Schließlich liest man das ja jetzt überall und auf den Konferenzen brüsten sich auch alle damit. Sogar das PMI bietet Zertifizierungen für Agiles Projektmanagement an. Und ohne Begriffe wie Scrum, selbstorganisierte Teams oder Kanban in der Stellenanzeige wird es heute schwer, fähige Mitarbeiter*innen zu bekommen, sagen die Recruiting Experten.

Also wird die Agile Transformation ausgerufen! Es wird ein Transition Team zusammengestellt und erste Projekte dürfen sich agil organisieren.

So weit so gut.

Doch solange weder eine Dringlichkeit (“unser Geschäft funktioniert so nicht mehr – wir müssen uns anders organisieren, um künftig erfolgreich auf die steigende Dynamik und Komplexität reagieren zu können”) spürbar ist, noch die Überzeugung herrscht, dass Agilität für steigende Dynamik und Komplexität die passende Antwort darstellt, solange bleibt eine solche Transformation meines Erachtens in der Regel leider nur Theater!

Woran lässt sich ein Transformationstheater beispielsweise erkennen?

  • Es werden agile Experimente gestartet, die eher kreative Spielwiesen darstellen: Wenn das Projekt scheitert, dann ist es nicht so schlimm.
  • Es wird auch gar nicht festgelegt, wie man einen Erfolg oder Misserfolg messen wird.
  • Die Experimente sind vom Rest der Organisation abgekapselt, man hört aus anderen Bereichen Sätze wie “Ach, die mit den bunten Zetteln”.
  • Man organisiert sich im Team nach Scrum, braucht aber ein halbes Jahr, um eine erste Version des Produktes überhaupt zu präsentieren, geschweige denn zu veröffentlichen.
  • Bestehende Prozesse, Produkte und Services sollen 1:1 digitalisiert werden – natürlich agil, aber bitte nicht innovativ werden oder gar die Nutzer einbeziehen!
  • Der Vorstand berichtet stolz von den Agilen Teams, versichert dem Rest der Organisation aber im nächsten Satz, dass sich für sie nichts ändern werde!

Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Nun könnte man meinen, das sei ja nicht so schlimm! Man könne so doch trotzdem wertvolle Erfahrungen mit Agilität sammeln, um für die Zunkunft gewappnet zu sein, sobald die Dringlichkeit wirklich real wird, wenn also eines Tages auch die eigene Branche durch digitale Disruptionen durcheinander gewirbelt wird und man schnell reagieren muss.

Da bin ich jedoch nicht so optimistisch.

Gefahren

Zum einen sind die Erfahrungen, die auf Spielwiesen gesammelt wurden, nun einmal Erfahrungen auf Spielwiesen und nicht immer so leicht auf die Realität zu transferieren.

Zum anderen kann sich in der Zwischenzeit in den Köpfen der Organisation festsetzen, dass Agilität ja weder gut funktioniert noch überhaupt etwas bringt, außer bunte Zettelchen an den Wänden. Meiner Erfahrung nach ist so eine Grundhaltung keine gute Basis für eine echte Veränderung, wenn sie dann künftig nötig sein sollte.

Apropos Köpfe: Diejenigen, die Agilität begreifen und davon überzeugt sind und wirklich etwas verändern wollen, stellen oft früher oder später fest, dass sie kein Theater spielen sondern wirklich etwas bewegen wollen. Manche resignieren, andere gehen dorthin, wo sie tatsächlich etwas bewegen können. Wenn man sie dann eines Tages bräuchte, sind nur noch die Schauspieler übrig – sorry, etwas überspitzt gesagt.

Was also tun?

Nehmt Agilität und Transformation ernst oder besser gar nicht!

Wenn Ihr unbedingt Transformationstheater spielen wollt (oder müsst), dann haltet Euch zumindest an eines der agilen Prinzipien: Transparenz! Sprecht es also offen und ehrlich aus, dass es sich (noch) um Theater handelt und warum, statt so zu tun als ob … So bewahrt Ihr zumindest eine Restchance, später halbwegs unbeschadet von der Spielwiese in die Realität wechseln zu können!

Nachtrag

Olaf Lewitz meinte letztens auf einem Treffen unseres kleinen aber feinen Netzwerks Agiler Coaches in Berlin, dass er nur ein Beispiel einer nachhaltig gelungenen Agilen Transformation kennt: ING. Alle anderen agilen Organisationen seien schon agil gestartet. Vielleicht hat Olaf das extra überspitzt und hoffentlich wird es in Zukunft noch ein paar weitere erfolgreiche Transformationen geben. Aber das wird meines Erachtens nur klappen, wenn man es ernst nimmt!